Wie sah es wohl damals in Steinbergen und Engern aus? Wir laden Sie herzlich ein, mit uns einen Blick in die „gute alte Zeit“ in diesen Dörfern im Nordosten von Rinteln zu werfen.
Die ganze Historie jedes einzelnen Dorfes zu erzählen, dafür reicht der Platz an dieser Stelle natürlich nicht aus. Aber wir haben wieder viel Interessantes gefunden, was einen guten Eindruck davon vermittelt, wie es hier damals aussah.
1 Wir machen uns auf der B 238 Richtung Norden auf den Weg. Bevor wir in den Ortsteil Steinbergen gelangen, fällt der Blick fast unweigerlich auf ein großes, altes Gebäude auf der rechten Seite: die „Grafensteiner Höh“.
Nicht nur der Name, auch das in einer parkähnlichen Anlage gelegene Sandsteingebäude im neugotischen Stil mit seinem reich verzierten Fachwerkanbau lässt einen aristokratischen Hintergrund der Erbauer vermuten – doch weit gefehlt! Zeitweise wurde sogar angenommen, dass hier einst ein gräfliches Gericht ansässig war. Doch auch dieses Gerücht stimmte nicht.
Vielmehr war es der Rintelner Uhrmacher Gustav Hillebrecht, der das stattliche Anwesen im Jahre 1902 als Hotel „Zur Grafensteiner Höh“ errichten ließ. Den Namen hatte er frei gewählt. Möglicherweise inspirierte ihn dazu ein Wappenstein mit den darauf abgebildeten Schilden der Familien von Westphal und von Landsberg. Diesen Stein, der noch heute an der Westseite des Gebäudes zu sehen ist, hatte er zuvor beim Abbruch eines Hauses in der Rintelner Altstadt gefunden. Die Schilde hielt er vermutlich für gräfliche Wappen, was aber ein Irrtum war. Warum der Uhrmacher Hillebrecht gerade hier sein stattliches Hotel errichtete, erklärt sich, wenn man einen Blick in die Geschichte von Steinbergen wirft.
Steinbergen
2 Steinbergen nämlich entwickelte sich um 1900 zu einem angesehen Luftkurort mit mehr als 30 komfortablen Pensionen und mehreren Hotels. Das am Südhang des Messingbergs reizvoll gelegene Dorf punktete mit Weserromantik, einladenden Wäldern, historische Städten in der Nachbarschaft, der Nähe zum vornehmen Bad Eilsen mit seinen Schlamm- und Schwefelbädern und natürlich mit seiner guten Landluft!
3 + 3a Eines der ehemaligen Hotels war das Berghotel in der Rintelner Str. 9. Das in 1910 aufgenommene Foto zeigt die Südansicht des Gebäudes. Im April 1902 wurde es feierlich eröffnet und existierte als Hotel bis in die 60er Jahre. Seither kommen die Gäste nicht mehr hierher, um zu übernachten, sondern um fröhlich das Tanzbein zu schwingen.
Viele Rintelner werden sich sicherlich noch an den damals sehr angesagten „Easy Beat Club“ erinnern, in dem bis in die 70er Jahre hinein kräftig abgerockt wurde. Anfang der 80er Jahre dann eröffnete die „Tanzschule Schlüter“ ihre Türen. Unzählige Leute aus dem weiten Umkreis lernten bei Frau Schlüter, wie sie auf dem Parkett glänzen können. Legendär waren auch die Tanzpartys, die hier einmal im Monat samstags von 19.00 bis 23.00 Uhr stattfanden.
Wobei so mancher, wie wir hörten, sich klammheimlich von den Tanzstunden davon schlich, um gegenüber in der Diskothek „Nautic“ abzufeiern.
Seit 1990 bringen Inhaber Burkhart Dorth und seine Frau Gabriele in ihrer ADTV-Tanzschule Steinbergen Tanzbegeisterte zusammen und lehren sie fachgerechtes Tanzen und die neuesten Tanzsport-Trends.
4a + 4b Den gewaltigen Aufschwung als Erholungsort Anfang 1900 verdankte Steinbergen besonders auch dem in 1901 fertiggestellten Eisenbahnanschluss der Rinteln-Stadthagener Eisenbahn (RStE), zu dem wir jetzt einen Abstecher machen. Die Anbindung bescherte dem Ort zahlreiche Gäste, wie bereits auf dem Foto (um 1901) zu sehen ist.
Herrschte in den 60er Jahren noch reger Betrieb am Steinberger Bahnhof, wie die Aufnahme aus 1962 mit dem Triebwagen der RStE vor dem ehemaligen Café Baumgart zeigt, so wurde der Personenverkehr 1967 jedoch eingestellt. Im Jahr 2007 folgte auch die Einstellung des Güterverkehrs auf der Strecke.
5 Wir folgen nun weiter der Rintelner Straße und überqueren geradeaus die heutige B 83. Diese wurde bereits im Jahre 1802 „chaussiert“, also als Fernstraße für den überregionalen Post- und Frachtverkehr ausgebaut.
Der Steinberger Pass war aber schon viel früher von großer wirtschaftlicher Bedeutung. War er doch der wichtigste Durchlass durch das Wesergebirge zwischen Hameln und Minden. Im Mittelalter kreuzten sich hier die Fernhandelswege zwischen Osnabrück und Braunschweig sowie zwischen Bremen und Nürnberg.
Gleich auf der rechten Seite der heutigen Ahrensburger Str. steht ein 1796 erbautes Fachwerkhaus, welches bis in die 60er Jahre als Forsthaus der Fürstlichen Hofkammer in Bückeburg diente. Von hier aus bot der Förster Waldführungen für die Kurgäste an.
6 Leider nicht mehr viel übrig geblieben ist vom einstigen Charme des geschichtsträchtigen Gebäudes auf der linken Seite. 1917 erwarb ein Konditor namens Krömer die Achenbachsche Villa am Eingang zum Ahrensburger Park und baute sie zu „Krömers Hotel und Pension“ mit Café um. Besonders in den 1920er Jahren war das Haus eine elegante Ausflugsadresse für Kurgäste aus Bad Eilsen.
7 An „Wolbrecht‘s Hotel und Pension“, ein weiteres historisches Gebäude an der großen Steinberger Kreuzung, werden sich vielleicht noch einige Rintelner erinnern. 1964 musste es im Zuge der Erweiterung der Kreuzung weichen.
Das Hotel verfügte über keinen Saal, war aber dennoch besonders im Sommer ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Gäste, denn im großen Garten gab es eine Tanzdiele. Hier wurde bei schönem Wetter am Wochenende ausgelassen zu schmissiger Kapell-Musik das Tanzbein geschwungen.
8 Ein weiteres Anwesen, welches leider längst seinen einstigen Glanz verloren hat, ist die Arensburg. Seit etwa 1300 thront die Höhenburg auf einem Felsvorsprung mitten im Steinberger Pass an der heutigen Arensburger Straße und sicherte über Jahrhunderte den wichtigen Fernhandels- und Heerweg.
Allerdings geht nur das Untergeschoss des Südteils der Arensburg auf das späte Mittelalter zurück. Der Hauptteil des Gebäudes wie auch der schlanke Treppenturm und der Schlosshof stammt aus der wirtschaftlichen und kulturellen Blütephase der Spätrenaissance um 1600.
Seit ihrer Ersterwähnung im Besitz der Schaumburger Grafen, diente die Arensburg jedoch nicht wie man annehmen könnte als Residenz, sondern vorrangig als Erhebungsstelle für Abgaben und als Verwaltungssitz. Ein juristisch ausgebildeter Amtmann, der zugleich Gerichtsherr war, übernahm die damit einhergehenden Aufgaben.
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle ein mehr als unrühmlicher Teil der Geschichte: Die Arensburg war während der Hexenverfolgung Schauplatz mehrerer Prozesse und anschließender Hinrichtungen: Allein zwischen 1650 und 1670 wurden hier mehr als 20 angebliche Hexen verbrannt! Unter anderem auch auf Betreiben der Juristen der Universität Rinteln! Unterhalb des Burghügels befinden sich neun Teiche, die als „Hexenteiche“ bezeichnet wurden. Die Namensgebung ist darauf zurückzuführen, dass sie in dieser dunklen Zeit für die sogenannten „Wasserproben“ genutzt wurden, um Beschuldigte der Hexerei zu überführen: Sie wurden gefesselt und mit Gewichten beschwert in den Teich geworfen. Schwammen sie oben und überlebten, galten sie als Hexen.
8a + 8b Lange versank die Arensburg in den folgenden Jahrzehnten in einer Art Dornröschenschlaf. Teile der Gebäude wurde zeitweise lediglich als Lager für Getreide und andere Güter genutzt. Die Arensburg drohte zu verfallen.
Dann aber brachte die Eheschließung von Fürst Georg Wilhelm zu Schaumburg-Lippe mit Ida von Waldeck-Pyrmont im Jahr 1816 die Wende!
Es war wohl die Gemahlin, die die Lage der Arensburg inmitten der reizvollen Landschaft und die räumliche Nähe zu Bückeburg und dem Kurbad Eilsen sehr zu schätzen wusste. Und so wurde die stark verfallene Burg zu einem Lustschloss im Stil der Romantik ausgebaut! Ida war es auch, die die Anlage des Landschaftsparks veranlasste. Der Park entwickelte sich in der folgenden Zeit zu einem wichtigen Anziehungspunkt des Luftkurortes Steinbergen.
9 Gegenüber, auf der anderen Straßenseite der heutigen Arensburger Straße, wurde 1923 ein Steinbruchbetrieb gegründet, um den wertvollen, extrem harten, grauen Kalkstein abzubauen. Dieser findet vor allem im Straßen- und Gleisbau Verwendung. Das Foto zeigt eine Aufsichtsbaracke im Jahr 1935. Auch hier findet sich ein dunkles Kapital der Geschichte: 1945 diente das Werk als Straflager der Gestapo für Zwangsarbeiter aus Osteuropa. Ein Monument auf dem Gelände erinnert an mindesten 37 Menschen, die damals ums Leben kamen.
Im Jahr 2000 wurde im renaturierten Teil des Betriebsgeländes das Steinzeichen Steinbergen eröffnet. Leider war der naturorientierte Erlebnis- und Freizeitpark, der sich zu einem attraktiven touristischen Anziehungsunkt des Schaumburger Landes entwickelte, auf Dauer wirtschaftlich nicht tragbar und musste in 2015 seine Türen für immer schließen.
10 Vom nördlichen Teil Steinbergens geht es nun zum Dorfplatz an der Lindenstraße, dem heutigen Mittelpunkt des Dorfes. Hier steht ein wahres Schmuckstück: das Backhaus. Am 15. Juli 2006 feierten die Steinberger mit Freude und Stolz seine Einweihung. Der Steinberger Verkehrs- und Verschönerungsverein hatte es im Rahmen des Dorferneuerungsprogramms restauriert und neu errichtet.
Erbaut wurde es ursprünglich 1857 als Teil von Steinmeiers Hof in der Bachstr. 2. Der Hof mitsamt den Stallungen wurde am 10. April 1945 bei einem Bombenangriff der amerikanischen Luftwaffe fast vollständig zerstört. Lediglich das Kellergewölbe, die Leibzucht und das Backhaus blieben erhalten. Als die Reste des Hofes zugunsten eines Neubaugebietes vor dem Abriss standen, waren die Tage des verfallenen Backhauses wieder einmal gezählt. Doch auch diesen „Angriff“ überstand das kleine Häuschen!
Denn glücklicherweise hatte Ludwig Schröder vom Vorstand des Verschönerungsvereins die zündende Idee! Das einzige in Steinbergen stehende Backhaus solle vor dem totalen Abriss bewahrt werden, in dem es abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut wird. Gesagt, getan! Mit viel Liebe, Ausdauer und handwerklichem Geschick wurde das Backhaus im Februar 2002 von tatkräftigen Vereinsmitgliedern und vielen Helfern zunächst auf Steinmeiers Hof demontiert und später auf dem Platz neben dem Gemeindehaus wieder neu errichtet.
11 Einen schönen Eindruck davon, wie in den 1920er Jahren das Leben in Steinbergen genossen wurde, vermittelt das Bild des Prinzenhof-Gartens aus dem Jahr 1928. Der Prinzenhof in der Marktstr. 1 war früher Bauernhof, Pension und Gastwirtschaft zugleich.
Seinen Namen hat er von seinem früheren Eigentümer, dem schaumburg-lippischen Prinzen Hermann (1848-1918). Dieser hatte sich der Förderung der Geflügelzucht verschrieben und auf diesem Hof einen Musterbetrieb eingerichtet. Auf die Initiative des Prinzen gehen auch die um 1880 gegründeten Geflügelzuchtvereine in Rinteln und Bückeburg zurück.
12 Als letztes Ziel unserer Dorfrundfahrt durch Steinbergen steuern wir die St. Agnes Kirche an. Der prächtige neugotische Bau erhielt 1889 seine Weihe. Mit einer Höhe von 55,10 m bis zum Metallknauf an der Spitze ist der Steinberger Kirchturm der höchste Kirchturm im Wesertal zwischen Hameln und Minden! Und rund 1 m höher als der Turm der Rintelner St. Nikolai-Kirche.
Sehenswert im Innenraum sind besonders das aufwändige Kreuzrippengewölbe und der reich verzierte Altar. Bemerkenswert sind dazu einige Relikte des Vorgängerbaus. Dieser massive, romanische Bau aus dem 12. Jahrhundert stand neben der heutigen Kirche und wurde nach deren Fertigstellung abgerissen. Erhalten blieb nur ein kleiner Mauerrest.
Zu den erhaltenen Relikten gehörten ein Taufstein aus dem 17. Jahrhundert und der an der Südseite des Chores eingebaute Grabstein des aus Brabant stammenden Nicolaus Claissen, der in 1599 verstarb. Bedeutsam ist auch der auf der nördlichen Außenseite der Kirche eingelassene Grabstein, der das Kreuz Christi auf dem Hügel Golgatha über einem Wappen zeigt. Er geht, so wird vermutet, auf das Edelherrengeschlecht derer von Vlotho zurück, die bis um 1200 in Engern begütert waren.
Engern
Wir verlassen nun Steinbergen und machen uns auf ins „Gänsedorf“ Engern, welches in der Aue der Weser liegt. Genau wie die Dörfer Ahe und Kohlenstädt gehört Engern zu den jüngeren Siedlungen in unserer Umgebung. Zwar ist der Boden hier besonders fruchtbar, aber aufgrund der Flussnähe eben auch immer wieder von Überschwemmungen durch Hochwasser gefährdet. Erst als die Bevölkerungsdichte im Umland deutlich zunahm, wurden hier erste Siedlungen gegründet.
Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Dorf Engern um 1160. Sein Name leitet sich vermutlich vom Anger ab, der sich im Bereich der Straße Am Schweinemarkt befand. Von der damaligen Freifläche in der Dorfmitte ist schon lange nichts mehr zu erkennen. Sie wurde schon früh mit kleinen Brinksitzerstellen, also mit kleinen Häusern mit wenig Grundstück besiedelt. Mit der Industrialisierung Rintelns wuchs auch Engern – allein zwischen 1871 und 1885 stieg die Einwohnzahl von 393 auf 509 an. Viele von ihnen waren Arbeiter der Glashütte Stoevesandt.
13 Woher aber kommt die landläufige Bezeichnung „Gänsedorf“? Schon das Foto mit den strammen Jungs und hübschen Deerns aus dem Jahre 1932 trägt den Titel „Engersche Göse beim Baden“. Nun – nicht nur die Menschen lieben die saftigen Wiesen inner- und außerhalb des Ortes, auch die Gänse zieht es eben immer wieder hier hin! Zur besonderen Verbreitung dieser gefiederten Tiere hat wohl auch der Musterhof des schaumburg-lippischen Prinzen Hermann mit seiner Geflügelzucht auf dem Prinzenhof in Steinbergen maßgeblich beigetragen. Der Begriff „Engersche Göse“ wurde jedenfalls schnell zu einem stehenden Begriff in der Umgebung und damit auch die Bezeichnung „Gänsedorf“.
14 Wie sehr die Menschen in Engern zu ihren Gänsen stehen, belegt der geschmückte Pferdewagen zur Feier des 800-jährigen Bestehens von Engern im Jahre 1960.
15 Ein bis heute sehr lebendiges Stück Geschichte von Engern ist das Familienunternehmen Fritz Kuhlmann. 1910 eröffnete Karl Kuhlmann eine Dorfschmiede mit Schwerpunkt Pferdebeschlag und Wagenbau. Sein Sohn Fritz trat 1934 als Lehrling in die Schmiede ein und übernahm den Betrieb im Jahr 1951 als Inhaber. Die Kundenansprüche veränderten sich, und so kam zum bisherigen Angebot des Unternehmens der Vertrieb von Herden und Öfen hinzu und schließlich auch von Haushaltsgeräten. Im Bild zu sehen ist, wie der Sitz des Traditionsbetriebs im Jahr 1955 aussah.
Wir danken Hartmut Herforth (FB-Gruppe Historisches Rinteln) und Dr. Stefan Meyer vom Museum Rinteln herzlich für die zur Verfügung gestellten Bilder und Informationen!