Mimose oder besonders wachsam? Hochsensibilität im Alltag

Von Tanja Meier, Heilpraktikerin, Homöopathie, Neurofeedback

„Was bist du aber auch für eine Mimose?!“, „Stell dich doch nicht so an!“ – So etwas oder Ähnliches bekommen HSP des Öfteren zu hören.

„HSP“? Das bedeutet „ Highly Sensitive Person“ oder deutsch: „HochSensible Persönlichkeit“. Das sind Menschen, die eine wesentlich empfindlichere Wahrnehmung haben als die Norm. Wie die Mimose, eine Pflanze, die ihre Blätter einklappt bei der geringsten Erschütterung, bei Temperatur- oder Lichtveränderungen, reagieren HSP auf Sinnesreize, die von anderen gar nicht wahrgenommen werden.

Das können ja nicht so viele sein, meinen Sie? Immerhin: 15-20% der Menschen gehören zu dieser Gruppe. Dieser Prozentsatz findet sich interessanterweise in allen Völkern, sowie auch im Tierreich! Spätestens an dieser Stelle  kann man vermuten, dass sich die Natur hierbei etwas gedacht hat – oder hat sie einen Fehler gemacht?

Nicht alle HSP sind in der gleichen Weise hochsensibel. Viele haben ein sehr empfindliches Gehör und neigen zu übermäßiger Schreckhaftigkeit. Bei anderen steht ein höchst sensibler Geruchssinn im Vordergrund. Der Tastsinn auf der Haut kann verstärkt sein, die Empfindsamkeit für Luftdruckveränderungen kann erhöht sein, der Geschmackssinn kann verstärkt sein, und so weiter.

In Naturvölkern sind diese Menschen unter anderem für den Schutz der Gruppe zuständig, da sie als Erste die Angreifer bemerken, ein aufziehendes Unwetter erkennen und vielfältige andere Gefahren wittern und Unfälle verhüten. So kann man also tatsächlich einen Sinn und Zweck hinter dieser übernormalen Empfindsamkeit erahnen.

Fluch oder Segen? – Die andere Seite der Medaille: Hochsensible Menschen sind im Alltag vielfältigen Belastungen ausgesetzt, die von anderen gar nicht wahrgenommen werden. Das fängt für die Kinder oft in der Schule an: sie können sich nicht konzentrieren, weil sie jedes Rascheln von Papier, Flüstern von Mitschülern und Klappern mit Stiften genauso stark wahrnehmen wie die Stimme des Lehrers.

Ein Parfüm, das andere nur dezent wahrnehmen, kann zu einer schier unerträglichen Geruchsbelästigung werden. Überall klingeln Handys, im Restaurant kann man den Gesprächen am Tisch nicht folgen und sein eigenes Wort nicht verstehen. Viele HSP reagieren auch besonders stark auf Elektrosmog, Autoabgase und künstliche Stoffe in Nahrung, Kleidung und Kosmetika.

Obwohl es sich bei der Hochsensibilität nicht um eine Krankheit handelt, können aus ihr handfeste psychische und psychosomatische Störungen erwachsen. Da das Gehirn wesentlich mehr Informationen zu verarbeiten hat, kommt es oft zu einer verminderten Stresstoleranz. Angststörungen können dazu führen, dass sich HSP zurückziehen und Gesellschaft meiden. Auch das familiäre Zusammenleben kann empfindlich gestört werden, wenn es der HSP beispielsweise nicht gelingt, unangenehme Kaugeräusche am Esstisch auszublenden oder wenn Berührungen unerträglich werden.

Das Wissen um die eigene Hochsensibilität kann in diesen Fällen der wesentliche Auslöser sein, Wege zu finden, mit seinem Anderssein besser umzugehen und das positive Potenzial zu entfalten, das darin verborgen liegt – nur wenige Pflanzen haben so viel Entfaltungspotenzial wie die Mimose.