Von Karsten Martens, Rechtsanwalt, Vors. des Anwaltvereins im LG-Bezirk Schaumburg

In der heutigen Zeit müssen wir, die sog. „Verbraucher“, mit ständigen Preiserhöhungen leben, die uns von den Konzernen diktiert werden. Diese Preiserhöhungen, verniedlichend Preisanpassungen genannt, sollten uns Verbraucher dazu veranlassen, die Rechtmäßigkeit dieser ständigen Preiserhöhungen zu prüfen bzw. prüfen zu lassen.

Unser Rechtssystem sieht vor, dass durch gesetzliche Vorschriften zum Verbraucherschutz (vgl. z.B. §§ 305 ff. BGB) wir uns nicht jede Preiserhöhung der Konzerne gefallen lassen müssen. Gleichwohl hat die Versicherungswirtschaft, ich spreche hier vor allem von den privaten Krankenversicherungen, unter Hinweis auf die ständig steigenden Kosten der medizinischen Heilbehandlung, Preiserhöhungen durchgeführt, die, bezogen auf die letzten 15-20 Jahre, die allgemeinen Kostensteigerungen der Lebenshaltung weit übertreffen. So ist es kein Geheimnis, sondern durch Einsichtnahme in die Preisindices des Statistischen Bundesamtes belegt, dass die Kosten der Lebenshaltung sich in den letzten 15-20 Jahren um ca. 25 % erhöht haben, während die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen sich nach den allgemein bekannten Preisindices um etwa 50 – 60 % erhöht haben. Die Beiträge zur privaten Krankenversicherung sind in diesem Zeitraum teilweise um mehr als das Doppelte (!) gestiegen.

Die Entwicklung der ständigen, im Jahresrhythmus sich wiederholenden Steigerungen der Beiträge in der privaten Krankenversicherung ist natürlich nicht unbemerkt geblieben. Zwar verweisen die privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen in den Ankündigungen zur nächsten „Beitragsanpassung“ auf die oben genannten Kostensteigerungen, sei es im ambulanten Bereich, sei es im stationären Bereich oder auch bei der zahnärztlichen Behandlung. Der Kunde der privaten Krankenversicherung wird in den Mitteilungen zur Beitragserhöhung bzw. Beitragsanpassung auf diese Gründe der Kostensteigerung und der dadurch angeblich notwendigen Beitragserhöhung hingewiesen.

Jedoch kamen gegen die Rechtmäßigkeit der ständigen Erhöhungen bei der Kundschaft Zweifel auf, ob die Beitragserhöhungen mit den gesetzlichen Vorschriften vereinbar sind. Es gibt in § 203 Abs. 5 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) eine gesetzliche Grundlage, die eine Beitragserhöhung unter den dort näher genannten Voraussetzungen zulässt. Diese Zweifel führten zu Rechtsstreiten bis zum Bundesgerichtshof. Es wurde zunächst bis zum Bundesgerichtshof eingewendet, dass die von den Treuhändern der Versicherungsgesellschaft erteilte Genehmigung der jeweiligen Beitragserhöhung unwirksam sei, weil die Treuhänder im Verhältnis zu der Versicherungsgesellschaft als deren Geldgeber nicht unabhängig seien. Der Bundesgerichtshof hat diese Argumentation zurückgewiesen und die Unabhängigkeit der jeweiligen Treuhänder mit einem Urteil aus dem Jahr 2018 bestätigt.

Die ständigen Beitragserhöhungen wurden anschließend mit einem anderen Argument als unwirksam gebrandmarkt: Seit einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2020 (Az. IV ZR 294/19) darf festgestellt werden, dass die Berechtigung einer einzelnen Beitragserhöhung nicht im Sinn einer konkrete Bezifferung – oder auch nur im Sinn einer Plausibilität – nicht dem Kunden der Versicherungsgesellschaft vorgerechnet werden muss; wohl aber muss in dem Schreiben des privaten Krankenversicherers zur Beitragserhöhung der sog. „Schwellenwert“ genannt werden, der sich aus § 155 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) ergibt. Danach darf eine Beitragserhöhung erst vorgenommen werden, wenn sich der Kostenbetrag für die einzelnen Leistungsbereiche der Versicherung im ambulanten, im stationären und im Zahnarztbereich seit der letzten Beitragserhöhung um mehr als 10 % erhöht hat. Damit ist gemeint, dass nicht jede Kostensteigerung, insbesondere eine unter 10 % liegende Kostensteigerung mit einer Beitragserhöhung an den Kunden weitergegeben werden darf.

Diese Formalität ist in der Vergangenheit in der Regel in den Schreiben zur Beitragserhöhung nicht beachtet worden. Neuerdings erst wird diese Formalität in den Schreiben zur Ankündigung der Beitragserhöhung berücksichtigt, mindestens teilweise berücksichtigt

Diese rechtliche Wertung des BGH führt dazu, dass Beitragserhöhungen für mehrere Jahre in der Vergangenheit unwirksam sind und der Kunde gut beraten ist, diese Beitragserhöhungen nicht mit seinen Finanzmitteln zu bedienen, sondern gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das OLG Celle hat jüngst in einem Urteil vom 13. Januar 2022 zum – Az. 8 U 134/21 – diese Rechtsauffassung bestätigt.

Unter diesen Umständen kann nur jedem Kunden einer privaten Krankenversicherung geraten werden, anwaltliche und – notfalls – gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich gegen ständige und rechtlich ungerechtfertigte Beitragserhöhungen aus der Vergangenheit zur Wehr zu setzen.