Wissenswertes aus der Erbrechtspraxis

Von Florentine Jakobsohn, Fachanwältin für Erbrecht

In den §§ 1922 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (Buch 5) ist die gesetzliche Erbfolge geregelt. Das Vertrauen darauf wird jedoch in der täglichen anwaltlichen Praxis regelmäßig gestört.

Häufig treten Lücken im Stammbaum eines Menschen in Erscheinung, denen er im späteren Leben oder aber auch erst bei Eintritt eines Erbfalles innerhalb seiner Familie gewahr wird. Junge Menschen machen sich darüber im Regelfall noch keine Gedanken.

Geschichtlich bedingt kam es um die Jahrhundertwende zu zahlreichen Auswanderungen von Europäern nach Amerika. Abenteurer, aber auch viele in tiefer Armut Lebende, machten sich auf den Weg nach Westen über den Atlantik. Es kam zum Zerreißen familiärer Bande, die bis heute ihre Auswirkungen haben. Trennungen durch das Abwandern in die „Neue Welt“ führten zu der im Volksmund sogenannten „kalten Scheidung“. Dort konnte ein Ehepartner eine weitere Ehe eingehen, ohne im „alten Europa“ erst eine damals noch gesellschaftlich peinliche Scheidung durchführen zu müssen.

Die Auswirkungen dieser damaligen geschichtlichen Entwicklungen führen noch heute in Erbrechtsprozessen zu langjährigen Verfahren in der Ahnenforschung. Die zahlreichen Kriegsopfer während der beiden Weltkriege hinterließen ebenso große Lücken in Stammbäumen von Familien.

Nicht selten existieren keine Geburts- oder Sterbeurkunden aus diesen Jahren. Zum Nachweis einer Erbberechtigung benötigt das zuständige Nachlassgericht aber zwingend als Abstammungsnachweis neben diesen Urkunden auch die Heiratsurkunde.

Ein möglicher Weg ist die Auskunft beim Standesamt Berlin nach Personenstandsurkunden beispielsweise von Angehörigen aus den ehemaligen Ostblockstaaten. Und schließlich sind in der Erbenforschung Erkenntnisse darüber gefragt, ob es uneheliche Abkömmlinge gegeben hat, die zu berücksichtigen sind. Dies alles sind Probleme, die auftauchen können, wenn man sich auf die gesetzliche Erbfolge verlässt.

Ein Nachlass der aus einem Bankguthaben, aus Wertpapieren oder auch aus Münzen besteht, ist noch relativ verlässlich. Wenn aber eine Immobilie oder auch ein Grundstück zum Nachlass gehören, sind laufende Verbindlichkeiten durch Abgaben, Instandhaltung, Darlehen oder Inflation Faktoren, die den Nachlass schmälern. Ahnenforschung kann unter Umständen Jahre dauern. Dies kann dazu führen, dass sich die Werthaltigkeit eines ursprünglich umfangreichen Nachlasses aufbraucht und schließlich zu der Notwendigkeit einer Zwangsversteigerung führt, noch bevor die Erbengemeinschaft lückenlos ermittelt werden konnte. Findet sich kein Erbe für einen werthaltigen Nachlass, so erbt der Fiskus. Dies ist in § 1936 BGB geregelt.  

Wie mit dem digitalen Nachlass des Erblassers zu verfahren ist, darüber besteht gesetzlich nach wie vor keine Klarheit, obgleich auch diese Thematik immer mehr Beachtung erfährt.

Dies alles sind triftige Argumente für die Errichtung eines Testamentes. Wer also auf die gesetzliche Erbfolge vertraut, ist schlecht beraten.